Occursus cum novo

Entstehung (von Wolfgang Leister)

Im März 1987 wurde nach Erteilung eines Stipendiums des ORF unter Leitung von Prof. Dr. Alfred Schmitt eine Arbeitsgruppe gebildet, die zur Aufgabe hatte, eine Computeranimation vollständig mit dem Raytracingverfahren herzustellen. Die Arbeitsgruppe bestand aus Achim Stößer, der als Stipendiat die künstlerische Ausarbeitung und die Modellierung übernahm, Wolfgang Leister, der mit der Projektführung betraut war, Heinrich Müller, der für die Musik verantwortlich zeichnete, sowie einer Gruppe von Studenten und Diplomanden, die für Programmieraufgaben zuständig waren.

Thomas Maus war für die Simulation und Ausführung von Bewegungen in Partikelsystemen verantwortlich. Rekonstruktionen dreidimensionaler Objekte aus Schnittdaten oder Höhenlinien wurden mittels des Reproduktionsprogramms Repros erzeugt, das von Bernhard Geiger implementiert wurde. Rekursiv definierte Objekte generierte Matthias Schmidt mit dem Programm Waxi, das im Rahmen seiner Diplomarbeit entstand. Für die Ausgestaltung und Erzeugung der Katenoide waren Vassilis Vlassopoulos und Bernd Lamparter verantwortlich.

Die Previewtechnik wurde von Markus Pins entwickelt und implementiert. Es wurde ein Dither-Verfahren verwendet, das die Farbtiefe der Bilder auf Schwarz und Weiß reduziert, so daß sie in Echtzeit auf einem Bildschirm darstellbar sind. Weiterhin war eine große Gruppe mit der Wartung, Erweiterung und dem Betrieb der Bilderzeugungssoftware Vera beschäftigt. Zu dieser Gruppe zählten Michael Stark, Markus Linsenmann, Udo Kebschull, Andreas Christmann, Rudolf Lindner und Birgit Schumacher.

Nachdem der künstlerische Entwurf mit dem Drehbuch festgelegt worden war, begann nach dem Entwurf der ersten Szenen die Berechnung der Einzelbilder. Nach kurzer Zeit stellte sich aber die zur Verfügung stehende Rechenleistung nicht als genügend heraus. Daher wurde unter Hinzunahme eines weiteren Projektgruppenmitgliedes, Burkhard Neidecker, ein Konzept zum verteilten Berechnen der Computeranimation auf einem Netzwerk von Arbeitsplatzrechnern entworfen. Ende Mai konnten die Berechnungen in vollem Umfang beginnen, und sie dauerten bis Mitte August an. Im Anschluß daran erfolgte die Aufzeichnung der Animation auf Videoband, die Vertonung, sowie die Korrektur fehlberechneter Bilder. Die Aufzeichnung der Videobänder wurde von der Firma Data Images, Stuttgart, übernommen.

Am 11. September 1987 konnte der Film dem universitätsinternen Publikum, sowie der örtlichen Presse zum ersten Male vorgestellt werden, wo er mit Interesse aufgenommen wurde. Am 19. September 1987 wurde die Animation der Öffentlichkeit bei der Vorstellung der Stipendienarbeiten auf der Ars Electronica vorgeführt.

Einige Daten über die fünfminütige Animation Occursus cum novo, die aus 7550 Einzelbildern besteht. Durch die Verwendung von Standbildern und zyklische Wiederholungen mußten nur etwa 4000 Bilder mit einer Auflösung von 768 x 576 Pixeln berechnet werde, was zu einem Datenumfang von 9 Gigabyte führte. Durch Unix-compress wurden die Daten auf 2.2 Gigabyte komprimiert, wobei die Mehrzahl der Bilder einen Kompressionsfaktor von 25 aufwiesen. Insgesamt wurden für die Berechnung etwa 24000 Stunden (2 Jahre und neun Monate) Rechenzeit auf 68020er Maschinen (Sun workstations) benötigt.

Inhalt

Die Computeranimation Occursus cum novo (lat. Begegnung mit dem Neuen) ist formal nach einem Schema aufgebaut, das der Musik entlehnt ist - dem Rondo. Das heißt, der Film ist in zwei parallele, sich abwechselnde Handlungsstränge gegliedert: die "Harte Welt", gekennzeichnet durch schnelle Veränderung, ständigen Aufbau von Objekten und eine deutliche Hektik sowie eine durch einen Wecker und Filmschnitte symbolisierte zeitliche Dynamik einerseits und andererseits die "Weiche Welt" mit ruhigen, fließenden Übergängen, unbewegter Kamera und ohne harte Schnitte. Beide sind in vier Szenen unterteilt.

Allerdings sind diese Realitätsebenen nicht vollständig voneinander getrennt. So treten beispielsweise in der Harten Welt Würmer auf, die dem konstruktiven Element entgegenwirken. In der letzten Szene aus der Harten Welt zerfällt sogar ein Wurm in seine Einzelteile. In der Weichen Welt dagegen wird der Zeitfaktor deutlich, wenn sich eine griechische Stein- in eine römische Bronzestatue und schließlich in eine moderne Plastik verwandelt.

In der Schlußsequenz verschmelzen beide Welten zu einer Gesamtheit, wobei es dem Betrachter überlassen bleibt, zu entscheiden, ob diese Verschmelzung positiv oder eher negativ zu bewerten ist. Erst an dieser Stelle, wenn Objekte aus der Harten Welt in die Weiche - von unten - eindringen, werden dem Betrachter die überraschenden Größenverhältnisse klar.

Gleichzeitig wird versucht, eine Verbindung zwischen Kunst, Natur, Technik und Wissenschaft herzustellen. Dies geschieht durch Nachbildung oder Andeutung realer Objekte in beiden Welten - um nur einige Beispiele zu nennen: ein Bild Mondrians, eine Plastik Vantongeloos, eine Skulptur im Stil von Arp; Landschaften, Bäume, Würmer; Mühlen und Wecker; Kugeln, die sich nach physikalischen Gesetzen bewegen und Gebilde aus der Mathematik.

Fotorealistische Computeranimation

Fotorealistische Computeranimation - Cover W. Leister, H. Müller, A. Stößer: Fotorealistische Computeranimation, o-oSpringer Verlag, 1991.

Die heutige Computergraphik in ihren vielfältigen Anwendungen zeigt eine Tendenz zu Farbe und Bewegung. Die immer häufiger als Vorspann, in Werbespots, aber auch in wissenschaftlichen Visualisierungen verwendeten rechnergenerierten Animationen erzielen ihre Wirkung durch die Simulation optischer Effekte, etwa des Reflexionsverhaltens metallischer Oberflächen, und durch ausgefeilte Bewegungsabläufe bis hin zu korrektem physikalischen Verhalten. In diesem Buch werden Techniken zur Produktion derartiger fotorealistischer Computeranimationen vorgestellt und anhand des Computerfilms Occursus cum Novo demonstriert. Die Kapitel werden durch Übersichten zum Stand der Technik und Verweise auf relevante weiterführende Literatur abgeschlossen. Für potentielle Entwickler von Animationssystemen werden in diesem Buch grundlegende Verfahren und ihre effiziente Umsetzung in Algorithmen und Software dargestellt. Anwender erfahren technische Einzelheiten, die helfen können, die Wirkungsweise der eingesetzten Systeme besser zu verstehen. Das umfangreiche, überwiegend farbige Bildmaterial vermittelt auch dem nicht technisch orientierten Leser den "Stand der Kunst".

Illusion

Entstehung

Die zweite mehrminütige Animation von Achim Stößer, Illusion entstand im Zeitraum November 1988 bis November 1990 in Zusammenarbeit mit Illusionder Universität Freiburg. Das dortige Institut für Informatik stellte wie die Karlsruher Fakultät für Informatik Rechenkapazität zur Verfügung.

Von Thomas Maus stammt das Programm zur Wellensimulation, das in zwei Szenen eingesetzt wurde. Bernhard Geiger erzeugte aus Tomographiedaten mit seinem Programm Repros das Modell eines Kopfes. Wolfgang Leister und Jörg Winckler betreuten das Sun-Netz in Karlsruhe bzw. Freiburg, Stephan Abramowski die Aufzeichnungshardware. Da das Institut für Betriebs- und Dialogsysteme inzwischen über eine optische Platte verfügt, war es nicht erforderlich, außer Haus aufzuzeichnen.

Musik und Vertonung stammen von Frerk Meyer. Aufgezeichnet wurde der Ton von Ralph Bühler (Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe).

Die offizielle Uraufführung fand im Rahmen der Jahresfeier der Universität im Dezember 1990 statt.

Inhalt

Ausgangspunkt für die neue mehrminütige Animation, Illusion, waren zwei Bilder: Winter, vom Oktober 1987, eine äußerst realistische Darstellung eines Raumes, und Das Ende einer Illusion, das im März '88 entlarvend die Kulissenhaftigkeit des Raumes darstellte. Damit ist das Ziel des Films beschrieben: Aufbau einer Scheinwirklichkeit und berechnende Zerstörung der Illusion.

Am Anfang steht eine einzelne Kugel, Sinnbild für die geometrischen Grundelemente, Modell der Elementarpartikel des Atoms. Die Kugel teilt sich, zwei Halbkugeln entstehen, doch beide Hälften erben die Eigenschaften des ursprünglichen Ganzen: Der Vorgang läßt sich beliebig wiederholen, ohne daß die Kugelhaftigkeit länger als für Augenblicke verloren ginge. Sobald 2³ = 8 Kugeln existieren, wird jede von ihnen mit einer hieratischen Bedeutung belegt, sie werden einer Metamorphose unterworfen, die sie zu Zeichen macht, zu Buchstaben, die, im Konglomerat, ein Wort bilden: ILLUSION, Inhalt und Titel des Films.

Die Welt kippt, das Wort wird Wirklichkeit - oder Scheinwirklichkeit. Der Betrachter folgt einem Schmetterling, fällt auf eine Szene zu, die ihm deutlich macht: Dies ist Simulation; im Nichts schweben drei, und nicht sechs, Wände, um einen Raum anzudeuten, angefüllt mit Requisiten, ein Tisch mit Gläsern, eine Lampe, an der Wand ein Bild, das vertraut erscheint, ein Fenster - Blick nach Draußen, doch dort ist nichts als ein verstümmelter Baum, Äste, aber keine Wurzeln, wozu auch, es gibt keinen Boden, in dem sie Halt finden könnten.

Doch sobald der Betrachter sich im Inneren des Raums befindet - sofern die drei Seiten eines Quaders ein Inneres haben können - vollzieht er im Geist, Macht der Gewohnheit, den Sprung, der es ihm erlaubt (oder der ihn zwingt), die vorgegaukelte Scheinwelt als das zu sehen, was sie nicht ist: ein Bild der Wirklichkeit.

Der Betrachter wird eingeschlossen in dieser Bildwelt, eine Jalousie vor dem Fenster versperrt den Blick nach draußen. Doch noch während dies geschieht, wird die Illusion durchbrochen, es wird gezeigt, wozu die Abschottung dient: Der Baum verschwindet. Doch statt ihn, wie es möglich wäre, einfach auszuschalten, sobald er außer Sicht ist, schmilzt seine Substanz, noch während die Jalousie fällt, seine Zweige werden haarfein, Spinnweben, Nichts.

Es folgt eine scheinbar willkürliche Collage aus Szenen, die immer wieder die Unwirklichkeit dieser Welt demonstrieren. Doch zu Anfang hinterlassen sie Spuren, ein Martini schwebt, einer Seifenblase gleich, aus seinem Glas, zerplatzt zu Hunderten von Perlen, die Gläser versinken im Tisch.

Der Schmetterling, der den Betrachter hierhergeführt hat, hat sich vermehrt. Ein ganzer Schwarm fliegt herbei, umschwärmt, der sonnenabhängigen Orientierung seiner Art gehorchend, die erleuchtete Lampe. Und hier ein Zwischenschnitt, der einzige des ganzen Films: Die Kamera umkreist mit dem Schwarm die Lampe, und noch einmal ist das Fehlen einer Umgebung zu sehen, nur das Wechseln des Standpunktes ermöglicht den Blick aus der Kulisse heraus. Dann wieder die gewohnte Sicht, der Schmetterlingsschwarm reißt sich los, fliegt davon.

Weitere surrealistische Ereignisse weichen die Pappwelt auf. Eine Kugel fällt auf, in, durch den Tisch, und Wellen kräuseln seine Oberfläche. Ein Kopf erscheint, doch er ist genau das, ein Kopf, nichts weiter. Der Tisch verformt sich auf eigenartige Weise. Das Universum wird verzerrt wie bei einem Hyperraumsprung in einem Science-Fiction-Film, die Illusion endet, weiß, wie sie begonnen hat, so daß sie, zu einer Endlosschleife geklebt, ewig laufen könnte.