Achim Stößer

Glogauer pflügt

Obwohl es einen Mond auf Mariä Lichtmeß war und die Sonne eine Handbreit hoch stand, schnitt noch immer die Kälte ins Fleisch. Der Winter war hart und lang gewesen. Sie darbten nach einem verregneten Sommer, der das Getreide hatte verfaulen lassen. Während Glogauer mechanisch hinter dem Pflug herstapfte, dachte er an die kalten Tage und Nächte in der Stube, die auch die Ausdünstung des Viehs in der Stallhälfte des Hauses nicht hatte erwärmen können. Er erinnerte sich an das Klappern der Holzlöffel, die aneinanderschlugen, wie sie in der fast leeren Schüssel nach den Resten der Mehlsuppe suchten, wenn er, die Bäuerin, Mägde, Knecht und Kinder sich um den Tisch versammelt hatten. Sein Jüngstes war an der galoppierenden Schwindsucht heimgegangen im Herrn, die beste Zuchtsau, eine Schwäbisch-Hällische mit schwarzem Kopf und Hinterteil, hatte den Veitstanz bekommen und gemetzelt werden müssen, und Wendel, der Knecht, war dem Wundbrand erlegen, nachdem ihm beim Schuheschnitzen die Klinge in die Hand gefahren war.

Der Bodenfrost hatte Steine nach oben getrieben, die jetzt an der Pflugschar kratzen und scharrten. Dunkle Wolken bargen die Sonne, im düsteren Licht sah Glogauer nur vage den Falben, ein rheinisch-deutsches Kaltblut, das mit dampfender Kruppe schwerfällig vor dem Pflug herging. Das Tier schien die Last nicht zu spüren, während seine Hufe an plumpen, schwarzen Köten teils unsicher tastend auf der unebenen Erde Halt suchten, teils den festen, feucht-lehmigen Boden durch sein Gewicht niederdrückten. Und Glogauer fühlte kaum die Sterzen des Pflugs in seinen schwieligen Händen.

Die Pflugschar kreischte, und auf Glogauers »Brr!« verharrte das Schrittpferd. Der Bauer bückte sich und hob den Granatsplitter auf, der das Geräusch verursacht hatte. »Granat?« dachte er verwirrt. Wie war er darauf gekommen? Was er in der Hand hielt, war kein Schmuckstein, es war nichts weiter, als ein gewöhnliches Stück Felsbrocken. Achtlos warf er es an den Rain, trieb dann zügelschlagend mit einem »Hü!« das Zugtier wieder an.

Scholle um Scholle warf die Schar herum, verdorrte Welschkornstrünke mit Erde bedeckend. Eine Katze haschte in der aufgewühlten Furche nach mancherlei Gewürm, es zu fressen. Glogauer wußte, daß der Acker der Brache bedurfte, doch er brauchte ihn. Ein weiteres mageres Jahr würden sie nicht überstehen. Stattdessen würde er Kunstdünger ausbringen. Glogauer erstarrte, während seine Beine wie von selbst weiterschritten. Was war das? War er denn Alchimist, daß er Blei in Gold oder Steine in Dung wandelte? »Heilige Maria, Mutter Gottes«, flehte er, »bitte für uns Sünder!« Suchten ihn die Sukkuben nun schon am Tage heim, schlimmer noch als in der Nacht, da sie sein Fleisch versuchten, schlüpften sie in seinen Geist, nagten an seinen Gedanken? Was er hatte bedenken wollen, war, den Rat der Hauserin zu befolgen, bei Neumond zu pflügen. Doch das war nicht bar der Gefahr. Die Hauserin kannte manches Kräutlein, litt an Osteoporose - Herr im Himmel! wieder ein solches Wort ... war eine Hexe, und erst zu Johannis hatten sie, so hieß es, im Thüringischen wieder eine Teufelsbuhle gebrannt.

Glogauer dachte an das bevorstehende Jahr, die Mühsal der Arbeit, das Pflügen und Eggen, Säen und Mähen in brennender Sonne, wie sie mit Flegeln das Stroh leerdreschen, im Wind Spreu und Weizen trennen, wie Bremsen, von Pferden und Kühen mit Schweif und Quaste vertrieben sie stechen würden, wie das frische Heu, wenn sie es auf die Wagen gabelten, juckend auf ihren schweißnassen bloßen Leibern kleben würde.

Er warf einen Blick zum Haus, wo Anna, eine seiner Töchter, am nahen Ackerrain Märzbecher schnitt. Hinter der dunklen Fensterhöhle, kaum zu ahnen, stand Rosa, die Bäuerin, am Herd. In Bälde würde sie von einem Kind genesen. Neun hatte sie bereits getragen, von denen sechs noch unter ihnen weilten, wenngleich es nur Mägdlein waren. Diesmal würde sie ihm, so Gott wollte, einen Sohn schenken, und auch die Hauserin hatte ihr Teil dazu getan, mit einem Gebräu aus Wolfsmilch, Natternhemd und Krötenzahn. Vielleicht würde auch die Schwangerschaftsgymnastik - ein Dämon saß auf Glogauers Brust, drückte ihn nieder, zerriß mit Klauen und Zähnen seine Eingeweide. »Herr«, rief er stumm, »was habe ich nur getan, daß du mich so strafst?«

Anna erhob sich und ging durch eine Schar freilaufender Wyandottenhühner zum Haus. Freilaufend? Was hatte das zu bedeuten? Sollte er das scharrende Federvieh etwa anketten wie einen Hund oder ins Geschirr spannen? Ein Radio spielte hinter dem Haus ein Lied. »Laßt ab, ihr Buhlgeister, laßt ab von mir!« Nichts war da; hinter dem Haus war kein - was ihm gerade in den irrenden Sinn gekommen war. Nur Lisbeth war dort, die Magd, nicht dem Gestern oder dem Morgen gedenkend, eine Weise auf den Lippen, ihr Los nicht achtend.

Das Pferd blieb, am Ackerrand angekommen, stehen, und Glogauer bohrten sich schmerzhaft die Sterzen in den Leib. Gemeinsam mit dem stampfenden Tier kehrte er den ächzenden Pflug. Er warf einen Blick auf sein Handgelenk, gewahrte, daß er keine Armbanduhr trug, schlug entsetzt das Kreuz und sah nach der Sonne. Sie stand hinter Wolken über den kahlen Tannenwipfeln eines nahen Gehölzes. Nur waren die Zweige nicht kahl, wovon auch? Im spärlichen Unterholz lag, wie ein bleicher Schädelknochen, die Betonruine eines Bunkers.

Glogauer sank in die Knie, preßte die Stirn gegen das kalte Metall der Schleifsohle. Findling! Das war das Wort. Findling! Findling! Nicht Betonbunker. Ein solches Wort gab es nicht. »... bitte für uns, jetzt und in der Stunde unseres Todes!« War es das? Stand der Sensenmann schon für ihn bereit? Welches Böse labte sich an seinem wirren Geist, fraß an seinen Gedanken, wie der Rost an dem alten Traktor? Nein! Es gab keinen Traktor - nur einen Heuwagen mit gebrochener Deichsel. Das Pferd schnaubte wie vor Ungeduld.

Ein Tiefflieger zerkratzte donnernd den Himmel. Glogauer fiel vornüber, schmeckte ein feuchtes, salziges Gemisch aus Erde und Blut im Mund. Er konnte sich nicht rühren, die harzzähe Luft umschloß ihn, erstarrte, hielt ihn gefangen wie eine Fliege im Bernstein. Er versank in widernatürlicher Nacht und erkannte, daß der große Schnitter ihn holte. Denn was folgte, mußte das Höllenfeuer sein: Als er erwachte, auf trügerisch weicher Bettstatt, eilten Teufel wie falsche Engel herbei, huschten um ihn herum, Teufel beiderlei Geschlechts in weißen Kitteln, selbst die weiblichen ungeziemlich sündhafte Beinkleider tragend, Teufel, die in Zungen sprachen, seine fleischliche Hülle mit Nadeln spießten.