Achim Stößer

Spurlos

Samstag, 20. November

Übermorgen wird er sterben. Hörst du das, mein über alles geliebter Lutz? In 48 Stunden wird deine Ellen dich töten. Und es wird der perfekte Mord sein.

Alles ist bereit. Das Motiv zu verschleiern -- denn daß sie mich verdächtigen werden, ist offensichtlich -- war am schwersten. Immerhin liegen nun, säuberlich in Geschenkpapier eingewickelt und mit Schleifchen versehen, zwei Flugtickets nach Bangkok in meiner Schublade, als Überraschung zum Jahrestag eines ach so glücklichen Paars -- keiner weiß, daß er schon vor einem Monat war und Lutz nicht einmal daran gedacht hat. Das Alibi ist einfach: ich habe mich im Bürocomputer eingeloggt, den Systemkalender um zwei Tage vorgestellt, ein paar Dateien bearbeitet, und den Kalender wieder korrigiert. Gesegnet sei die Heimarbeit! Nun wird niemand sagen können, ich sei am Montag nicht hier gewesen, all diese Dateien tragen Datum und Uhrzeit des Mordes.

Kein Mord ohne Mörder. Ah! Darauf bin ich besonders stolz. Auf einer Diskette habe ich den Mörder erschaffen. Daten für Lutz' Terminkalender, und sogar ein paar Eintragungen für sein Tagebuch, Monate zurückreichend, alle über einen fiktiven »M.« Pikant: ich hoffe, das wird bei der Polizei die richtigen Assoziationen wecken, »M -- eine Stadt sucht einen Mörder«. Wenn nicht, sei's drum, die Eintragungen genügen. Ach, wie entsetzt werde ich sein, wenn sie mir eröffnen, mein Lutz sei schwul gewesen und von einem noch unbekannten Stricher erstochen worden. Ich werde nach der Tat nicht nur die Daten in seinem Rechner deponieren, nein, sogar an geeignete Accessoires habe ich gedacht, extrastarke Kondome, ein Darmspülgerät. Armer kleiner Lutz. Damit es nicht fabrikneu aussieht, habe ich es benutzt, und weißt du was? Allein das hat mich mehr erregt, als du es jemals geschafft hast. Natürlich habe ich dabei Wollhandschuhe getragen, keine ledernen; ich bin sicher, gehört zu haben, daß Lederhandschuhe ebenso eindeutige Fingerabdrücke hinterlassen können wie menschliche Haut.

Sonntag, 21. November

Oh, oh, mein schönes Alibi. Beinahe hätte ich einen Fehler gemacht. Natürlich wird der Kommissar kein Übermensch sein wie im Krimi, sondern ein Beamter, der sich über das Kantinenessen aufregt und unter Hämorrhoiden leidet, aber sicher wird er auf die Idee kommen, ich hätte die Dateien im Büro vom Tatort, von Lutz' Wohnung aus, bearbeitet. Nun, kein Problem. Jetzt habe ich ein noch viel besseres. Alles, was ich tun mußte, war, bei Rot über eine Kreuzung zu fahren und den Zeitstempel im Rechner der Ampelanlage zu manipulieren. Praktisch, daß mein Ex als Programmierer bei der Ortspolizeibehörde gejobbt hat. Bisher habe ich dadurch immer nur bei jedem Strafzettel fürs Falschparken 1,49 gespart (i), weil ich wußte, daß der Computer erst ab 1,50 mahnt. Wie gut, daß die Gerichtsmediziner den Tod so exakt festsetzen können. Zur Tatzeit werde ich weit, weit weg gewesen sein. Morgen ist es soweit.

Montag, 22. November

Es war bizarr. Die Callanetics-Vorturnerin auf dem Bildschirm lobte seine Mitarbeit: »Gut so, sehr schön, noch ein bißchen höher. Und lächeln.« Dabei lag er regungslos auf dem Boden in seinem Blut. Blut. Das war ein Problem. Der Eiszapfen, den ich im Gefrierfach hergestellt hatte, ein Mordwerkzeug, das von selbst verschwindet, hatte nicht so gut funktioniert, wie ich dachte, obwohl ich die vorgesehene Stelle am Hals genau traf. Merke: nächstes Mal keine Eiswaffe verwenden. Lutz war nicht sofort tot gewesen, alles war voller Blut, auch ich. Meine Kleidung. Ich wusch sie rasch aus und warf sie in den Trockner, aber jedes Labor würde die Blutspuren finden, also mußte ich sie loswerden. In meiner Eile vergaß ich fast, das Glas mit den Fingerabdrücken des Penners, das ich mitgebracht hatte, auf Lutz' Wohnzimmertisch zu stellen. Zuhause steckte ich die Kleidung in ein Paket, schrieb eine fiktive Adresse in Gdansk (i) darauf. Beinahe hätte ich es frankiert und mit dem Speichel unter den Briefmarken eine Blutspur hinterlassen. Nun ja, das wäre nicht weiter schlimm gewesen, den falschen Absender schrieb ich mit Tricktinte, die in ein paar Stunden verschwinden wird, und ein noch »falscherer«, unleserlicher, vom anderen Ende Deutschlands wird erscheinen. Eine chemische Untersuchung würde das zutage fördern, aber warum sollte die Post sich diese Mühe machen? Nicht, daß damit zu rechnen ist, daß das unzustellbare Paket jemals wieder aus Polen zurückkommen wird. Gleich werde ich es zum Postamt bringen und anschließend Lutz' Leiche »entdecken«. Ein Glück, daß es so schneidend kalt ist. Da fallen Wollhandschuhe nicht auf.

Mittwoch, 1. Dezember

Nicht fair! Nicht fair! Nicht fair!

Oh, es war so unfair, und ich bin sicher, auch unvereinbar mit dem Datenschutzgesetz. Das werde ich meinen Anwalt fragen.

So unfair, mein Tagebuch zu beschlagnahmen.

November 1994


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