Achim Stößer

Schöner Schlachten

Veganismus war Mitte des 21. Jahrhunderts alltäglich, die Leichenfresser bildeten zumindest in den fortschrittlicheren Ländern nur noch eine kaum wahrnehmbare Minderheitensekte. Speziesismus und Quälen von Tieren gab es zwar noch, doch es war weitgehend verpönt wie ein halbes Jahrhundert zuvor Rassismus und Schlagen von Kindern.

"Der Heilige Gerd, meine Brüder im Blute", hob von Steinhagen an und meinte damit den früheren Bauernverbandspräsidenten Sonnleitner,totes Schwein (zum Vergößern anklicken) "der Heilige Gerd, ich muß es sagen, und bitte euch mich nicht übereilt der Ketzerei zu bezichtigen, griff zu kurz, als er im Jahre des Herrn 1999 sprach: ‚Wir sind enorm gefordert in der Hirnwäsche unserer Abgeordneten, damit was auf den Weg gebracht wird in der Landwirtschaft.' Ein wahres Wort, doch bei weitem nicht genug. Zwar gab es Bestrebungen, den widerlichen Hetzbildern von brennenden Leichenhaufen, die in den Köpfen der Menschen hängengeblieben waren, entgegenzugehen -" Die Maulwürfe unter seinen Zuhörern wußten, daß er von lila Kühen, tanzenden Schweinen und singenden Hühnern fabulierte, die die CMA, die Propagandaorganisation der Bauern, produziert hatte, doch die wahren Gläubigen kümmerte, wie es bei wahren Gläubigen seit eh und je der Brauch ist, die Realität natürlich nicht. Dennoch ging ein Raunen durch die Menge. "Es sind doch nur Tiere!", stieß der Carnivorenführer hervor, um die Wogen zu glätten. "Doch die ‚Fleisch ist Mord'-Menetekel an den Mauern der Schlachthäuser nahmen zu", fuhr er in seiner Rede fort. "Und heute? Wir müssen uns fast verstecken, können kaum öffentlich unserer Natur nachgeben. Es ist eine Schande! Wer das Wort ‚bäuerlich' bezogen auf Fleisch, Milch, Käse oder Eier hört, denkt längst nicht mehr an Rinder auf grünen Weiden und auf Misthaufen krähende Hähne, sondern hat die Dokumentationen selbsternannter Tierrechtler vor Augen. Uns bleibt nur noch die Vorwärtsverteidigung: wir müssen die Bilder von blutbesudelten Metzgern und zuckendem sterbendem Vieh, das in glänzende, feuchte Teile zerlegt wird, die uns das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen, manchen aber aus unerfindlichem Grunde stören, aus dem Hirnen der Menschen waschen. Ja, wir müssen die Sprache selbst bereinigen: es genügt nicht, von schonender Schlachtung zu reden - der Feind behauptet gar, nichts sei weniger schonend, als etwas, das zum Tode führt -, von diesem Tag an wollen wir die Schlachthöfe Euthanasieanstalten, die Schlachter Sterbehelfer nennen."

zuerst erschienen in
Jens Neuling (Hrsg.), "Sterbehilfe",
Verlag Jens Neuling, 2002